Gedanken zur Zeit

Gedanken zur Zeit

Als im Jahre 1492 Rodrigo de Jerez mit Columbus auf Cuba landete, war er wohl der erste Europäer, welcher mit dem Tabak in Berührung kam. Zurückgekehrt nach Spanien, wurde er das erste Opfer einer Angewohnheit, die über die Jahrhunderte die Menschheit spalten würde. Er rauchte öffentlich und wurde von der Inquisition rasch eingekerkert, wobei er noch immer gefangen gehalten wurde, als die Rauchgewohnheit schon weitere Verbreitung gefunden hatte.


Welch schicksalhafte Entdeckung ist dieser Tabak letztlich gewesen. Der Tabakgenuss fand immer schon erbitterte Gegner, bei Todesstrafe verboten, mit Steuern belegt, gesellschaftlich geächtet und doch war sein Siegeszug nicht aufzuhalten. Er wurde als Heilmittel verwendet, als Schnupftabak geschnupft, in der Pfeife geraucht, zur Cigarre geformt und schließlich zur Zigarette reduziert. Historisch in dieser Reihenfolge wurde die spätere Form des Tabakgenusses die erfolgreichere. Erst die Revolution von 1848 brachte den Bürgern in Deutschland die Freiheit, öffentlich zu rauchen und Bier zu trinken. Von da an ging es wieder bergab. Heute stehen wir wieder geistig auf der Stufe der Inquisition.Bemerkenswert ist in der Geschichte, dass gerade totalitäre politische Systeme sich besonders in der Tabakgegnerschaft zu profilieren suchten. Haben wir nichts dazugelernt? Können wir Menschen nicht mit Freiheit umgehen?
In den 150 Jahren, die wir die Freiheit hatten zu rauchen, ist viel geschehen. Kriege haben Millionen von Menschen getötet, Minderheiten sind brutal niedergemacht worden, politische Systeme sind blutig errichtet worden und wieder vergangen, der technische Fortschritt war enorm und auch die Medizin hat beachtliche Erfolge vorzuweisen. Die Wissenschaft erklärt so manches und doch: es ging und geht immer nur um Macht und Geld.
Alle paar Jahre wird eine neue Sau durchs Dorf getrieben, sei es mit politischen Ideen oder mit Managementmethoden, sei es mit neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen oder mit Philosophien und schließlich mit Onkel Dagoberts Märchenstunde für clevere Profiteure. Die Intervalle werden kürzer, zwar gibt es ein gewisses Beharrungsvermögen, ist erst einmal ein System errichtet; doch das menschliche Gedächtnis ist löchrig und die Lernfähigkeit begrenzt. Besonders, wenn es um die kollektiven Erfahrungen geht. Nach vielleicht 10 Jahren ist der Politiker verbraucht, der Manager verschlissen, dann ist Platzfür neue Experimente.
Nach dem Wegfall des Sozialismus leben wir wie schon so oft in einem Zeitalter der Restauration. Wozu brauchen wir noch eine soziale Marktwirtschaft, wenn der Brennpunkt der widerstreitenden Systeme, der eiserne Vorhang, gefallen ist? Wozu noch soviel Demokratie, wenn doch die Alten, die sich vielleicht erinnern können, wie die Demokratie in Schutt und Asche gezerrt wurde, fast nicht mehr da sind? Etwas weniger tut es doch auch und vielleicht kann man das ja in einen dynamischen Prozess münden lassen?
Eine wunderbare Spielwiese mit nur einem Motor: Macht und Geld. Kommt eine neue Technik, wird sie eingesetzt, egal ob gut ob schlecht. Gibt es neue wissenschaftliche Erkenntnisse, werden sie vermarktet, egal ob gut ob schlecht. Gibt es eine neue wirtschaftliche Methode, wird sie rücksichtslos angewandt, egal ob gut ob schlecht. Gibt es wertfreie, demokratische Wissenschaft? Gibt es eine Wirtschaft, die dem Menschen dient?
Gibt es eine Medizin, die nur dem hippokratischen Eid verpflichtet ist?
Vorbei sind die Zeiten, als man vom Baum der Erkenntnis naschte und mit Freude feststellte, dass es vielleicht wissenschaftlich ein kleiner Schritt war, aber ein großerSchritt für die Menschheit. Fühlt sich der einzelne verunsichert und droht dem System zu entgleiten, gar sich in Opposition zu begeben aus Verzweiflung, steht ein ganzes Arsenal bereit. Man gibt ihm McDonalds, Mickey Mouse und die Seifenoper. Reicht das nicht, dann sollte das Auto, der All-Inclusive Urlaubsflug oder der Vergnügungspark ein übriges leisten. Das schaukelt sich dann hinauf bis zu demjenigen, der sich mit dem Hubschrauber auf das letzte Schneefeld fliegen lässt um hochalpin auf Brettern zu rutschen.Wie, das reicht nicht?
Dann geben wir dem Mann eben etwas Geld zur Gründung einer Ich-AG und lassen ihn ein wenig schuften und sich selbst verwirklichen, solange er funktioniert, der nächste Kasper wartet schon. Braucht er vielleicht etwas mehr Macht, auch das lässt sich arrangieren, wenn und solange er die Erwartungen erfüllt.
Und wem das alles nicht reicht? – Hmmm. Ach ja, da gab es früher die Kirche, die mit Hölle, Tod und Teufel eine heilsame Wirkung entfaltet hat. Hört darauf heute noch einer? Nun, da kann man doch Sekten erfinden, mit Terrorismus, Klimakatastrophe oder Passivrauchen jonglieren, die Political Correctness einfordern und schließlich gibt es noch den bösen Feind, der bestimmt heimlich Massenvernichtungswaffen herstellt. So schließt sich der Kreis wieder zum ausgehenden Mittelalter und wir stellen verblüfft fest, es hat sich nichts geändert. Wenn jemand ein Ziel verfolgt, so erdenkt er zunächst die Strategie, das ist heute wieder ganz einfach geworden.
Vergegenwärtigen wir uns zunächst die globale Strategie: Früher einmal gab es Zeiten, in welchen wenige von allem alles wussten. Dies sei der höchste Punkt in einem Diagramm von welchem aus sich die Kurve dem heutigen Stadium nähert, in welchem alle von allem nichts mehr wissen. Dieses Bild veranschaulicht wunderbar den gewollten Zustand.
Nun streut man die Idee, die der Zielverfolgung dienlich ist und lässt sie von willfährigen Wissenschaftlern untermauern oder statistisch belegen. Z. B., dass die New Economy endlich die üblichen und bedrohlichen Wirtschaftszyklen unterbrochen habe: Es diente nur dem Einsammeln von Geld von denjenigen, die daran glaubten. Oder, dass Hedgefonds nützlich sind für die Volkswirtschaft: Sie dienen lediglich dem Abschöpfen von Volksvermögen. Oder, dass gentechnisch veränderte Getreide dem Welternährungsproblem beikommen: Sie dienen lediglich vermittels Patentschutzes der Monopolisierung von Nahrungsmittelerzeugung. Oder, dass Passivrauchen die Aufnahme des schlimmsten Giftes überhaupt ist: Wem das wohl dient ? Die zunehmenden Erkenntnisse in Einzelbereichen vermitteln eine undurchschaubare Komplexität im Zusammenwirken aller Systeme und damit eine Verwirrung des einzelnen.
Sie bedürfen ganzer Heerscharen von Experten, Beratern und Spezialisten, doch der Baum der Erkenntnis ist im undurchdringlichen Gestrüpp verschwunden. Alles wird der vermeintlichen Effizienz untergeordnet von der Wiege bis zur Bahre, die Gesellschaft, die mittelständische Wirtschaft, die Intelligenz alles wird atomisiert und nur wenige Strukturen werden verschleiert gepäppelt. Ziellose Ansammlungen verunsicherter Individuen – gleichsam die neue Ursuppe menschlichen Daseins. Ein Eldorado für den Tanz um das goldene Kalb, für die falschen Propheten und Pharisäer.
Jede noch so absurde Idee findet wohlmeinende Anhänger, die diese mit Verve und geradezu religiösem Eifer in die Welt hinaustragen und doch im Gefängnis ihrer bescheidenen Erkenntnis verharren, wenn sie nur mit dem richtigen gefüttert werden. Und es gibt immer diejenigen, die die Strategie beherrschen und sich einen Spaß daraus machen, diese Gutmenschen solange zu füttern, wie sie dem Ziel dienlich sind. Die Zeitintervalle werden immer kürzer, in welchen neue Ideen und Strategien auf den Weg gebracht werden, auch das hat Methode. Es gibt nur ein gewisses Zeitfenster in welchem die Restauration wirksam werden kann. Die Ideen des Sozialismus sind diskreditiert und durch die Globalisierung in der Hilflosigkeit versunken. Errungenschaften des Sozialstaates, die in 100jähriger Konkurrenz der Systeme entstanden, können nur eine gewisse Zeit lang abgebaut werden durch das Primat bedingungsloser, allumfassender Privatisierung, denn die Fragen werden kommen, die Fragen nach der Verantwortung, nach der Politik, die gar nicht schnell genug auf die immer neuen Ideen und Strategien reagieren kann, mangels eigener Erkenntnis und mangels politischen Willens und Weitblickes.
Dann haben wir da noch die EU, eine unselige Verquickung von Legislative und Exekutive,in einer zutiefst undemokratischen, wachsenden Machtfülle. Das haben natürlich auch die Player seit langem erkannt und darauf gesetzt, dass dieser Umstand möglichst nicht erkannt und als gottgegeben hingenommen wird. Gleichzeitig haben viele die Organe der EU inzwischen instrumentalisiert und zur Durchsetzung ihrer Ziele, die demokratischer Kontrolle nicht standgehalten hätten, benutzt. Zum einen reden große Wirtschaftsunternehmen eine Vereinheitlichungsmaschinerie herbei, die kleine Unternehmen in einem Sumpf von EU-Vorschriften ersticken lassen, zum anderen benutzen Politiker jedweder Couleur die EU zur Durchsetzung eigener politischer Ziele, die auf nationaler Ebene gescheitert sind. Beide Phänomene sind äußerst komfortabel, kann man sich doch gut hinter einer für den Bürger nicht mehr fassbaren EU verstecken und sich damit der Verantwortung entziehen, leider mit unabsehbaren Folgen.
Ein weniger an Demokratie ? Hier haben wir den dynamischen Prozess.So ist es auch mit dem Rauchen. 1848 befand sich ein Volk in einem demokratischen Prozess, der in einer neuen Freiheit mündete. Heute bewegen wir uns in umgekehrter Richtung. In einer in der jüngeren Geschichte beispiellosen Propagandaschlacht haben einige wenige uns Raucher mit allem beworfen, was der gesellschaftliche Schmutzkübel so hergab. Diese Wenigen haben es verstanden, uns alle in einen Topf zu werfen und zum gesellschaftlichen Abschaum zu stempeln. Sie haben es verstanden, sich mit ihrer eigenwilligen und selektiven Wahrnehmung und der zweckdienlichen und ebenso selektiven Wiedergabe von Tatsachenbehauptungen so in den Vordergrund zu spielen, dass sie in der ihnen zugewachsenen Machtfülle vollkommen blind gegenüber der eigenenInstrumentalisierung sind. Sie glauben sie müssen die ganze Welt erlösen, jeden unter Druck setzen und erkennen nicht, wie niederträchtig ihr verblendeter Kampf zur Nagelprobe für die Demokratie wird. Und hätten sie denn die Gewissheit, der Lage Herr zu werden, würden Sie das Rauchen gleich ganz verbieten. Manchem politischen Kalkül zuwider würde ihnen dann leider ein willkommener Sündenbock abhanden kommen. So jedoch machen sie sich einmal mehr zum Erfüllungsgehilfen großer wirtschaftlich politischer Machtkonzentrationen, indem sie den Mittelstand in einer weiteren Branche opfern. Sie beseitigen damit ein wichtiges Marktregulativ, ohne jemals die Folgen beherrschen, ja nicht einmal abschätzen zu können.
Das Gespenst des Passivrauchens ist wissenschaftlich nicht nachgewiesen, sondern lediglich statistisch mit begründeten Vermutungen hochgerechnet, basierend auf zweckgerichteten amerikanischen „Studien“ – vielleicht genauso glaubwürdig, wie die Massenvernichtungswaffen, die nie gefunden wurden? Es dient lediglich dazu, die Raucher noch weiter in die Enge zu treiben; glauben diese Leute denn im Ernst, dass sie den Prozentsatz der Bevölkerung, der für welche Art von Rauschmitteln auch immer auf Grund seiner körperlichen Disposition empfänglich sein mag, durch massive Eingriffe in die demokratischen Freiheiten vor irgendetwas bewahren können?
Die Geschäfte der Pharmaindustrie, aber auch die der Zigarettenkonzerne werden auf nie gekannte Art beflügelt und sie helfen in fataler – soll ich sagen Naivität? Durch das Aufwiegeln verschiedener Bevölkerungsgruppen gegeneinander glauben sie, den gesellschaftlichen Druck „wohlmeinend“ zu erhöhen und merken im Gefängnis Ihrer eigenen Erkenntnis nicht einmal, welch böse Saat Sie legen. Wo sind denn unsere Intellektuellen und Vordenker, wo sind die kritischen Journalisten und wo diejenigen, die unbequeme Fragen stellen? Oder sind wir schon wieder soweit, dass niemand sich mehr traut, Stellung zu beziehen? Sind wir schon wieder gleichgeschaltet und müssen auf Schlimmeres vorbereitet werden? Alles deutet darauf hin, dass wir am Vorabend gewaltiger Herausforderungen stehen und wir haben nichtsbesseres zu bedenken?
Aber, wir haben von allem nichts gewusst! Vielleicht ist alles auch nur ein normaler Wirtschaftskrieg und das Ergebnis wird sein, dass die Pharmaindustrie mit ihren Nikotinpflastern und -kaugummis und anderen Mittelchen nur ein neue Darreichungsform für das Gleiche im Markt durchsetzen will. Bloß, fragwürdig wäre auch das, denn, wenn man erst massiv den Gesetzgeber unter Druck setzen muss, um neue Produkte im Markt zu lancieren, hätte das eine ganz neue Qualität von Marketing erreicht. Sicher beispielgebend für was auch immer, arme Welt. Auch Zigarettenkonzerne sind in dieser Richtung denkbar, so fordert z. B. Philip Morris, eine Vielzahl gesetzlicher Regelungen, nach dem Motto aus dem Saulus wird ein Paulus, um damit die eigene Haut zu retten, die anderen Störenfriede im Markt über gesetzliche Korsette loszuwerden und komfortabel im Oligopol die Welt zu dominieren. Wohlweislich darauf vertrauend, dass es genügend Dumpfbacken gibt, die die „geniale“ Strategie nicht durchschauen und, dass man das Rauchen von Zigaretten ohnehin nicht aus der Welt schaffen kann. In einigen östlichen Neu-EU-Mitgliedsländern ist die Strategie schon aufgegangen und alles ist schön nachzulesen im Positionspapier aus dem Jahre 2004 auf der PM-Webseite.

Schöne neue Welt. Philipp Schuster im Februar 2007

Red.