Und jetzt einen Joint

Und jetzt einen Joint

© NZZ am Sonntag; 08.04.2007; Seite 18; Nummer 14

Die neue Hitliste der gefährlichen Drogen fördert die Verbotsgesellschaft Beda M. Stadler Die wissenschaftliche Literatur hat uns ein Osternest mit Überraschungseiern beschert. Alkohol soll gefährlicher als Ecstasy und LSD sein! Dies behauptet David Nutt, Psychopharmakologe der Universität Bristol, in der neusten Ausgabe von «Lancet».

Unter seiner Obhut haben sich Experten getroffen, um missbrauchte Drogen in eine rationale Skala einzuteilen. Bisher gab es die Klassen A bis C. Diese Stoffklassen waren Richtlinien, um Drogenkonsumenten ins Gefängnis zu bringen. Niemand kennt die Klassifizierung, trotzdem wissen wir, von welchen Stoffen man besser die Finger lässt. Professor Nutt und seine Experten wollten nicht nur illegale Drogen in die neue Skala einordnen, sondern auch legale, wie Alkohol und Tabak.

An erster Stelle der neuen Topzwanzig- Drogenliste landete, der Gefährlichkeit nach, Heroin. Auf Platz zwei dann Kokain. Das ist keine Überraschung. Die weiteren Placierungen sind allerdings bemerkenswert. Zuerst aber sei zusammengefasst, worum es den Experten ging. Die Gefährlichkeit der Drogen wurde aufgrund von drei Faktoren beurteilt: erstens nach der Grösse des Schadens, der dem Drogenkonsumenten zugefügt wird. Zweitens nach der Grösse der Tendenz, eine Abhängigkeit zu entwickeln. Und drittens nach der Wirkung auf die betroffenen Familien, auf ihr Umfeld oder die Gesellschaft. Manch einer wird jetzt ein schlechtes Gewissen kriegen, wenn er erfährt, dass an dritter Stelle Barbiturat, ein bewährtes Schlafmittel, ist. An vierter Position ist Strassenmethadon, mit der Betonung auf Strasse, um die offizielle
Methadonabgabe von moralischem Skrupel zu befreien. An fünfter Stelle figuriert der Alkohol! Vermutlich ist dies für die Gutmenschen, welche zurzeit die Raucher zum letzten Abschaum dieser Gesellschaft stempeln, eine Zwickmühle. Wo mit einem Gläschen auf qualmfreie Beizen angestossen wurde, hoffen wir, es sei bei dem einen Gläschen geblieben. Jedes dritte Glas gilt als Alkoholmissbrauch. Und Champagner gibt zudem CO2 ab.

Raucher können hingegen aufatmen: Tabak steht erst an neunter Stelle. Zwischen Alkohol und Tabak liegen nämlich der Missbrauch des Narkotikums Ketamin, jener des Tranquilizers Benzodiazepin und schliesslich jener von Speed (Amphetamin). Für brave Drogenpolitiker beginnt ab hier das Problem, weil erst zwei Plätze weiter unten, sozusagen im harmlosen Bereich, Cannabis aufgelistet ist. Genau das predigen in diesem Land die Kiffer längst ihren Eltern: Haschen sei im Vergleich zu Tabak und Alkohol harmlos! Wem Marihuana trotzdem zu riskant ist, der kann gemäss Experten zu harmloserem Stoff greifen: drei Plätze weiter unten steht LSD und erst auf Platz 18 dann Ecstasy. Mit anderen Worten, diese Liste ist eine Herausforderung für alle, die den Kindermädchenstaat einführen möchten. Sind Klosterfrau Melissengeist und Jägermeister wirklich gefährlicher als ein Joint oder ein LSD-Trip? Schon einmal wurde ein Medikament, Heroin, das als Schmerzmittel besser taugt als Aspirin, gesellschaftlich diskriminiert und dann in die Illegalität gedrängt. Ich hoffe, das passiert nun nicht dem Rotwein.

Beim Tabak sind wir bereits so weit! Es wird behauptet, ein klein wenig Passivrauchen sei genauso gefährlich, wie wenn man tagtäglich am Stengel hänge. Da das Dosis-Wirk- Prinzip wissenschaftliches Denken ist, kann man nicht erwarten, dass Politiker auch so denken. Es ist noch nicht lange her, dass die Lungenliga Schweiz verkündete: «Passivrauchen verursacht mehr Tote als Aids, Drogen oder Gewaltverbrechen.» Wie gross die Narrenfreiheit dieser Aussage war, wird jetzt ersichtlich, da wir uns zwischen Strassenkriminalität und einem Glas Rotwein entscheiden müssen!
Die politische Agenda auf dem Weg zur Verbotsgesellschaft scheint aber programmiert.
Politiker und ihre Berater werden mit rauchfreien Gehirnen vorerst die Klimakatastrophe bewältigen, dann kommt der Alkohol dran: beim Apéro.

Beda M. Stadler ist Direktor des Instituts für Immunologie und Professor für Immunologie an der Universität Bern.
© NZZ am Sonntag (Veröffentlichung mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion)

Red.