Ganz Frankfurt am Main ist in drei Teile untergliedert, von denen einer von den Nichtrauchern bewohnt wird, ein weiterer von den Rauchern, und der dritte von Menschen, die man solche mit Migrationshintergrund nennt.
So könnte es vielleicht nicht erst irgendwann aussehen, wenn Susanne Czuba-Konrads dystopische Geschichte „Rauchen verboten!“ Wirklichkeit wird.
Im Kino und in den Fernsehnachrichten kann man der Propaganda nicht entrinnen, die die Tabakraucher zum„Gift der Gesellschaft“ und „zu Mördern in Zivil“ abstempelt und in Orwellscher Newspeak-Manier „Freiheit heißt Rauchfreiheit“ postuliert.
Namen von Rauchern erscheinen in der örtlichen Tagespresse wie am Schandpfahl, Rauch und Tabakprodukte werden aus Filmen wegretuschiert. Nicht nur in Gaststätten, auch auf der Straße wird das Rauchen verboten, und schließlich ganz kriminalisiert, bei mehrjähriger Mindestfreiheitsstrafe für Verkauf und Erwerb von Tabakwaren. Bußgelder gegen heimliche Raucher sollen die Einnahmeverluste nach weggefallener Tabaksteuer kompensieren. Krankenkassen verdoppeln die Beiträge von Rauchern, Raucher werden aus Arbeitsverhältnissen entlassen und schließlich ihnen die „Raucherpauschale“ von der Stütze abgezogen. Nur langfristiger Tabakverzicht eröffnet eine Chance auf „Resozialisierung“. Illegale Raucherclubs etwa in Sachsenhausener Kellern, die letzte Alternative zur steriler gewordenen offiziellen Gastronomie, werden in Razzien ausgehoben. Die Überwachung des öffentlichen Raumes durch Video-Autos dient auch dem Zweck, Raucher ausfindig zu machen. Nur neben Mülltonnen, in Verstecken hinter dicken Stahltüren und in der eigenen Wohnung – bei zugezogenen Vorhängen – wird eine angezündet. Aber auch aus ihren Mietwohnungen werden Raucher gekündigt, und haben kaum Chancen, in einem „Nichtraucherviertel“ unterzukommen, wo die sogenannten besseren Kreise dem Tabakkonsum längst abgeschworen haben. Nach dem Konsum teuerster Schwarzmarktzigaretten braucht es Mundwasser, viel Parfüm, diverse Kaugummis und Erfrischungstücher, um den aufgehetzten Mitmenschen nicht gleich durch bösen Tabakgeruch aufzufallen.
Zeitgleich entfremden sich Frankfurter ohne Migrationshintergrund und
solche islamischer Herkunft immer mehr voneinander, Rechtsextremismus
einerseits sowie der Rückzug in den muslimischen Fundamentalismus nehmen
als Abgrenzungsverhalten zu. Wasserpfeifenkonsum in Migrantenghettos
bleibt meist folgenlos, da sich die Polizei selten noch in solche
Gegenden vorwagt. Und inmitten all dessen versuchen Czuba-Konrads
Protagonisten, ihr Leben zu meistern. Leon, durchs Rauchen arbeitslos
geworden und mit der Polizei in Konflikt, nachdem er seinen
„Raucherregistrationsbogen“ nicht ausgefüllt hat. Silvia, seine
nichtrauchende Lebensgefährtin, deren noch vergleichsweise tolerantes
Gebaren sie Gefahr laufen lässt, den Straftatbestand der Deckung
illegalen Rauchen zu erfüllen. Silvias Freundin Yasemin, die, nach dem
Tod ihres Mannes zwar strenggläubig geworden, gelegentlich zur Zigarette
greift. Und ihr neuer Gatte Yusuf, der seine Frau höchstens zum Besuch
eines regierungsamtlich
geförderten Antirauchkurses alleine aus dem
Haus gehen lassen will. Nach der Einführung in die Charaktere gewinnt
die Geschichte im weiteren Laufe beachtlich
an Tempo,
Zigarettenschmuggel, Entführungen, Vergiftungen, ein Schnellgericht, ein
Todesfall und weitere turbulente Wendungen öffnen den Beteiligten die
Augen über „die fragwürdige Vision einer totalitären
Nichtrauchergesellschaft“ (Verlagstext). Susanne Czuba-Konrad,
promovierte Germanistin, arbeitet als Dozentin und engagiert sich in der
Frankfurter SPD. Neben Sachliteratur hat sie bisher vor allem kürzere
Erzählungen verfasst. Auch „Rauchen verboten!“ zeichnet sich durch eine
hohe Dichte von Anspruch und Inhalt bei überschaubarem Umfang aus.
Manche der beschriebenen Entwicklungen schließen eng an die jetzige
Realität und die aktuell erhobenen Forderungen der Anti-Tabak-Lobby an,
andere projizieren eine etwas fernere Zukunft, die aber heraufzuziehen
droht, wenn der Durchmarsch der Tabakkontrolle wie bisher
voranschreitet. Was diese „Denormalisierung“ nennt, nämlich die
schleichende Abwertung des Tabakkonsums in weiten Teilen der
Bevölkerung, hat nach Jahrzehnten schleichender Entwicklung in den
letzten Jahren weitere Fahrt aufgenommen. So wirken Czuba-Konrads
Schilderungen der Antiraucherpropaganda kaum übertrieben angesichts
dessen, was an offiziellen Kampagnen und erst recht auf einschlägigen
Internetseiten stattfindet.
Während im Buch die „Gesellschaft für Gesundheit der Nation“ eine
wichtige Lobbygruppe bildet, gelingt es in der Praxis Organisationen
und Initiativen des medizinisch-industriellen Komplexes zunehmend, ihr
Welt- und Menschenbild der Gesellschaft aufzuoktroyieren. In der
Geschichte taucht ein zur Rauchentwöhnung genutztes Medikament mit
lebensgefährlichen Nebenwirkungen auf, in der ‚wahren‘ Welt wurde vor
einigen Jahren Champix/Chantix zu diesem Zweck auf den Markt gebracht.
Das Präparat scheint zu Selbsttötungen zu führen und seine Einnahme
wurde US-amerikanischen Piloten von der Flugaufsicht untersagt. Für die
Tabakkontrolle jedoch kein moralisches Problem, da in ihren Augen sich
Raucher sowieso dem Tode geweiht haben. In der Geschichte ereignen sich
noch weitere Verbrechen „im Dienste der Gesundheit“, etwa die
unfreiwillige Verschaffung in Entwöhnungslager. Noch Fiktion, vielleicht
in wenigen Jahrzehnten Realität. Auch am totalen Verkaufsverbot von
Tabakwaren wird ja hinter den Kulissen bereits gebastelt. Und während
bei Czuba-Konrad einer Protagonistin empfohlen wird, ihren rauchenden
Lebensgefährten schnellstens gegen einen Nichtraucher einzutauschen, hat
die EU vor Jahren schon das an Jugendliche gerichtete
Online-Computerspiel „Don’t kiss a smoker“ (von einer deutschen Agentur)
erstellen lassen.
Die Autorin spricht außerdem die Unterdrückung missliebiger
wissenschaftlicher Ansätze beim Zusammenhang von Rauchen und Gesundheit
kurz an. Ein Aspekt in diesem Zusammenhang gerät dabei schief: Sie
erwähnt ein „Nikotinkompensat“ als Option zur Verringerung von
Gesundheitsgefahren, während selbst die meisten Antiraucher dem Nikotin
keine problematische Rolle zuschreiben, statt dessen geht es um andere
Erzeugnisse des Verbrennungsprozesses. Ferner gleitet die Autorin
tendenziell in eine Sichtweise von Rauchern als bemitleidenswerte
Süchtige ab, Genuss und selbstbestimmte Entscheidung für den eigenen
Lebensstil treten dabei zurück. Ihr sozialdemokratischer Hintergrund
vermag vielleicht mehrere Bemerkungen zur wirtschaftlichen Situation von
Tabakbauern in Entwicklungsländern zu erklären. Deren Existenz bedrohen
jedoch nicht ausbeuterische Konzerne, sondern der Versuch der
Tabakkontrolle, den Tabakanbau zu minimieren. Czuba-Konrads Buch
verknüpft Gesellschaftskritik, bezogen auf Raucherdiskriminierung, aber
auf auch die Segregation von Menschen mit und ohne
Migrationshintergrund, mit den berührenden Einzelschicksalen einzelner
betroffener Charaktere und einem spannenden Handlungsverlauf. Nicht
zuletzt in ihrer Partei, der Sozialdemokratie, sind dem Werk viele
Leser
zu wünschen, und gerade angesichts des Umstandes, dass der Verlag auch
Antiraucherliteratur für Kinder und Jugendliche vertreibt, sei „Rauchen
Verboten!“ als Lektüre an Schulen empfohlen.
Christoph Lövenich ist Politologe und freiberuflicher Sozialwissenschaftler in Bonn.
Zuletzt erschien von ihm bei NovoArgumente Online „Novo als Hort der Leugner, oder: ‚Haltet den Dieb!‘“