(Originaltitel: More Theses for the Wittenberg Church Door)
»Der Guardian berichtet:
„‚Die Leute in diesem Land haben genug von Experten‘, erklärte Michael Gove letzte Woche.“…
Ich weiß nicht viel über Michael Gove, aber er hat mit Sicherheit für mich gesprochen. Denn ich habe mehr als genug von „Experten“. Jedes Mal, wenn ich lese, dass „Experten sagen …“, stellen sich mir die Nackenhaare auf.
…“Aber er liegt völlig falsch: Noch selten war unabhängige, unparteiische Analyse in der britischen Politik so wichtig gewesen. Und es gibt handfeste Beweise dafür, die dies bestätigen: Eine aktuelle Umfrage ergab, das Akademiker gleich nach ‚Freunde und Familie‘ kommen (57%, im Vergleich zu 72%), wenn es darum geht, wem man vertrauen kann in Fragen zum Referendum [Volksbegehren zum Verbleib von Großbritannien in der EU am Donnerstag; d.Übers.]. Politiker, also wie Gove, kommen auf 11%. Eine andere Umfrage ergab sogar, dass 63% meinten, Ökonomen könne vertraut werden.“
Sind Meinungsumfragen denn
„handfeste Beweise“? Und geht es wirklich um „Vertrauen“? Sollten wir
alle den Experten einfach vertrauen?
Da steht ein Zitat von Richard
Feynman ganz unten rechts auf dieser [Franks] Blogseite: „Wissenschaft
ist die Überzeugung von der Ahnungslosigkeit der Experten“.
Und das
muss so sein, denn nur durch Hinterfragung aktuellen dogmatischen
Glaubens wurde jemals wissenschaftlicher Fortschritt erzielt. Wenn man
glaubt, dass die Experten bereits alles wissen, wird man niemals ihre
Äußerungen in Frage stellen und auf eine alternative Auffassung kommen.
Und mir scheint, dass sich viele der großen Themen unserer Zeit reduzieren lassen auf die Frage, ob man den Experten vertraut oder nicht. Zum Beispiel vertrauen in Sachen der vom Menschen verursachten Erderwärmung die meisten derer, die daran glauben, auf die Experten: sie lauschen den Klimawissenschaftlern. Und sie sagen Dinge wie: „97% der Klimaforscher sind sich einig.“ Und Klimaskeptiker sind eher Leute, die den Experten _nicht_ vertrauen, die den Klimawissenschaftlern _nicht_ vertrauen.
Dasselbe bei Rauchen und Rauchverboten. Die meisten Leute vertrauen den Experten. Sie vertrauen den Ärzten, die ihnen sagen, Rauchen verursache Lungenkrebs. Aber Leute wie ich, die Experten nicht vertrauen, vertrauen auch Ärzten nicht. Oder jedenfalls nicht allen.
Denn ich sehe das so, dass wir Menschen nicht wirklich viel wissen über alles. Unsere Ärzte mögen bessere sein als die Ärzte vor ein paar Jahrhunderten. Ebenso unsere Wissenschaftler. Und unsere Ökonomen. Aber sie wissen höchstwahrscheinlich auch nicht alles über alles. Und deshalb sollten wir ihre Aussagen wirklich mit einer gesunden Skepsis aufnehmen, immer im Bewusstsein, dass eine Menge von dem, was sie heute wissen, etwas ist, was sie vor 10 oder 100 Jahren _nicht_ gewusst haben. Was gibt es da noch alles, was sie auch heute noch nicht wissen? Eine ganze Menge, vermute ich.
Und diese Art von Misstrauen gegenüber „Experten“
hat viele historische Vorläufer. Die Spaltung des Christentums, die im
16. Jahrhundert begann, war eine zwischen den katholischen Treugläubigen
an die päpstlichen Autoritäten in Rom und den skeptischen
protestantischen Zweiflern, die nicht automatisch akzeptierten, was
immer der Papst sagte. Die päpstlichen Autoritäten in Rom waren die
Experten ihrer Zeit. Sie wussten alles über Gott, Engel, Dämonen.
Himmel, Hölle, Heilige und alles andere. Und das war damals das, worüber
sich die Leute Sorgen machten, so wie heute über Erderwärmung und
Zigarettenrauch.
Und die grundlegende Natur der Debatte war damals
_exakt dieselbe_ wie bei den heutigen Debatten: Legst du dein Vertrauen
in „Experten“ (den Papst, Klimaforscher, Ärzte etc.) oder hörst du dir
andere Meinungen an und versuchst dir selbst ein Urteil zu bilden (Bibel
lesen, eigenes Klimamodell bauen, Experten anzweifeln)?
…
In derselben Richtung Jeremy Warner im Telegraph:
„Nigel
Farage, Parteivorsitzender der UKIP, sagte dem Daily Telegraph, er habe
mit dem Rauchen wieder angefangen, denn er habe sich ‚das alles nochmal
überlegt; ich glaube, die Ärzteschaft liegt in Sachen Rauchen falsch.‘
Ich hoffe, das war nur ein Scherz, denn so weit ist noch nicht mal
Donald Trump gegangen, soweit ich weiß. Das nächste wäre dann wohl
Darwins ‚Entstehung der Arten‘: Damals falsch, heute falsch. Ich
übertreibe nur zur Verdeutlichung.“
…
Wenn wir alles den
Experten überlassen – was wir ja gerade tun sollen -, erschaffen wir
gewissermaßen wieder eine Art neuer römisch-katholischer Kirche mit
eigenem ausgearbeiteten Sortiment an unbestreitbaren Lehren. Und
wahrhaftig, ist nicht die Politische Korrektheit genau das: ein eigenes
ausgearbeitetes Sortiment an unbestreitbaren modernen Lehren, deren
Leugnung zur Verfolgung wegen Ketzerei einlädt? Wir brauchen ein paar
neue protestantische Luthers und Calvins und Wesleys, die damit
anfangen, ein modernes Sortiment von 95 Thesen an der Kirchentür zu
Wittenberg anzuschlagen.«
Original: https://cfrankdavis.wordpress.com/2016/06/18/more-theses-for-the-wittenberg-church-door/
NWR-FB-Permalink:
https://www.facebook.com/groups/NetzwerkRauchen/permalink/10153464672731595/
Frank Davis auf der Netzwerk-Rauchen-Facebook-Gruppe:
https://www.facebook.com/groups/NetzwerkRauchen/search/?query=frank%20davis