Smoke rezensiert

Smoke rezensiert

Smoke – Geschichten vom blauen Dunst, rezensiert

21 Geschichten vom blauen Dunst präsentiert der Verlag ars vivendi in seiner im letzten Monat erschienen Anthologie. Er verspricht einen literarischen Spaziergang durch Rauchschwaden, Nichtraucherzonen und Raucherclubs. Es schreiben Joseph von Westfalen, Wladimir Kaminer, Alexa Hennig von Lange, Antje Rávic Strubel, Elmar Tannert und viele andere.

Rauchgeschichten – Für jeden Geschmack etwas dabei

Smoke – Geschichten vom blauen Dunst, Anthologie, 2008, ars vivendi Verlag, Cadolzburg – 208 Seiten, Hardcover, € 17,90 [D] • € 18,50 [A] • sFr 29,90 (CH) ISBN 978-3-89716-927-2

Smoke - Geschichten vom blauen DunstWas dem nüchternen Wissenschaftler der Sammelband, ist dem beflissenen Literaten die Anthologie. Unterschiedliche Texte unterschiedlicher Autoren unter einem gemeinsamen Dach. Vorliegend sind es „Geschichten vom blauen Dunst“ aus der Feder von 21 deutschsprachigen Schriftstellern.
So verträumt, wie das Foto einer rauchenden Frau auf dem Umschlag anmutet, geht es zwischen den Buchdeckeln nicht zu. Auseinandersetzungen mit dem gesellschaflichten und politischen Thema in seiner aktuellen Brisanz wechseln sich ab mit Texten, in denen der Tabak einen eher zufälligen Aufhänger abgibt oder eine untergeordnete Nebenrolle spielt. Bekenntnisse zum Rauchgenuss stehen in einem Spannungsfeld mit Geschichten, in denen das Rauchen eher aus einem ambivalenten oder negativen Blickwinkel betrachtet wird.
Bei Autoren wie Alexa Hennig von Lange, Antje Rávic Strubel, Susanne Heinrich, Selim Özdogan und Wladimir Kaminer stehen Beziehungsprobleme im Mittelpunkt,
letzterer schreibt zumindest näher über einen fiktiven (?) Kollegen, der „zu einem Drittel aus Rauch, zu einem Drittel aus schwarzem Tee und zu einem Drittel aus Buchstaben“ bestand. Von Alexa Hennig von Lange erfahren wir, dass Feuerzeuge in Rauchverbotsgaststätten immerhin noch zum Abfackeln von Kleidungsstücken taugen. Auch die Beiträge von Sandra Hoffmann, Thomas Lang und Michael Zeller behandeln den Tabakrauch nur am Rande.
Spannender sind da schon die Zukunftsvisionen, an denen uns Veit Bronnenmeyer, Elmar Vogt und Tom Wolf teilhaben lassen, einmal ein astro-/kosmonautisch/
extraterrestrisches Rauchvergnügen, dann ein irritierter Rückblick auf das frühe 21. Jahrhundert, als „alle Menschen hilflos wirkten, weil sie mit leeren Händen – also, ohne Zigaretten – dastanden“, sowie das Konzept „Smoke Collect“, das per Rauchmaut feine Bad Homburger Champagnerluft auf edle Berliner Bürgersteige befördert.
Mathias Nolte schämt sich seiner Liebe zu Gitanes nicht, und Larissa Boehning weiß von vielen Vorteilen und Reizen des Rauchens aus Sicht einer Nichtraucherin zu
berichten. Unter anderem das schön provokative Feindbild der rauchenden Mutter. Die wiederum für Autor Horst Prosch ein echtes Feindbild zu sein scheint, wie das Rauchen generell. Jener Herr nämlich weist sich als Anti aus, der aus seinem Ekel vor Rauchern keinen Hehl macht, nachdem er über mehrere Seiten mit einer wirren Geschichte über seinen jugendlichen Konsum von „drei viertel oder auch vier fünftel an einem ganzen Päckchen Zigaretten“, eventuell „auch ein Zehntel weniger“, den Leser langweilen durfte. Ob Sabine Weigand wohl auch eine Anti ist, mit ihrer historischen Kurzbiographie eines „Taback-Doctors“, der beim Aufschneiden eines Toten mit schwarzer Lunge einen Schock erfährt? Ein wenig gebrochen wird die Message von vermeintlichem medizinischen Fortschritt durch Zitate jahrhundertealter Public-Health-Propaganda, wo selbst von geschwärzten und auf Nussgröße verschrumpelten Rauchergehirnen die Rede war.
Angenehm jetztzeitig und an der konkreten Lebensrealität von Regulierungsopfern ausgerichtet aber die Beiträge von Adelheid Dahimène (Rauchverbot in österreichischen Zügen) und – besonders unterhaltsam – Elmar Tannert (Rauchverbote in Flugzeugen und ihre Durchbrechung). Tannert bringt zudem die Mechanismen der Raucherverfolgung und ihre schwachen Argumente exzellent auf den Punkt. Punktgenau seziert wird auch das Passivrauchen, und zwar von Thommie Bayer, der
das perfekte Selbstmordattentat beschreibt, mit rauchenden Tätern, die Jahre vor ihren Opfern sterben. So sagen jedenfalls jene Wissenschaftler, „denen auf Erden derzeit niemand widerspricht, auch wenn sie dereinst im Himmel für ihren Pfusch von Einstein einen Tritt in die Eier und gleich hinterher von Newton eine Ohrfeige kassieren werden, die sie auf dem Luftweg direkt in die Abteilung für Inquisitoren, Hexenjäger und Bartholomäusnacht-Veteranen befördern wird“.
Ganz konkret an der – speziell bayerischen – Rauchverbotsrealität und dem Umgang damit setzen Petra Nacke und Joseph von Westphalen auf unterschiedliche Weise an. Nacke beschreibt nachfühlbar den Widerstandsalltag vom Raucherforum (Ähnlichkeit mit lebendigen Foren und ihren Usern nicht ausgeschlossen) über die Demo bis zu den Besuchen in Raucherclubs. Von Westphalen, gewiss einer prominentesten unter den Schreibenden, quält sich etwas mit seiner Position. Er sieht sich, den Wenigraucher, als Opfer stark- und „sucht“rauchender Proleten, denkt über Emissionszertifikate für Kneipenraucher nach und liebäugelt mit dem Rückzug des Rauchens aus dem öffentlichen Raum, kritisiert aber andererseits die „Verbotsepidemie“, die raucher- und trostlosen Cafés, und lobt Widerstandsaktivitäten wie das Memminger Musical oder den rechtlichen Kampf um Luftreinigungsanlagen in Ebersberg. Von Westfalen sieht auch schon die der Raucherfeindlichkeit trotzende Gegenbewegung, die sich nicht nur darin äußert, dass er „als Raucher bei sommerlichen Gartenfesten ein heißbegehrter Gast [sei], weil durch die zunehmende Nichtraucherei auch die Mückenplage zugenommen habe.“ Viele kleine Werke versammelt – so vielfältig wie das Leben (und das Rauchen) selbst. Nicht ausnahmslos alle muss man literarisch wertvoll oder politisch überzeugend finden. Aber sie kommen zur richtigen Zeit, und sie können Hochgenuss bieten – in der einen Hand das Buch, in der anderen eine Zigarette, Zigarre oder Pfeife.

 

Christoph Lövenich Bundesgeschäftsführer Netzwerk Rauchen – Forces Germany e.V. http://www.Netzwerk-Rauchen.de Oktober 2008

Red.