DAS FUNKTIONELLE MINIMUM

DAS FUNKTIONELLE MINIMUM

Frank Davis auf Deutsch

(Originaltitel: The Functional Minimum)

»Als ich gestern über die Pillenschlucker schrieb, fiel mir eine viele, viele Jahre zurückliegende Unterhaltung mit meinem Vater ein.

Wir wohnten damals in Gambia in West-Afrika. Und ich war sechs Jahre alt. Wir sprachen übers Essen, und ich hatte soeben erklärt, dass das Essen der zukünftigen Welt in Tablettenform daherkäme. Und mein Vater fragte, ob ich mir da so sicher sei.


„Möchtest du dann keine großen Teller mit Eiern und Speck und Würstchen und Bohnen und Toast mehr haben?“, fragte er.
„Nein!“, rief ich entschlossen aus und schüttelte den Kopf. Mein Vater sah mich überrascht und enttäuscht an. Denn er liebte das Essen, speziell Eier mit Speck.

Für mich aber, sechs Jahre alt, war Essen nur eine lästige Pflicht. Ich hatte Besseres zu tun als am Tisch zu sitzen und zu essen, besonders wenn ein Großteil der Mahlzeit aus Gemüse bestand, das ich nicht mochte: Ich hatte wichtige Spiele zu spielen, mit meinen Schlachtschiff-Flotten draußen im Garten.

Für mich war Essen etwas, was erledigt werden musste, je schneller, desto besser. Und auf vielerlei Art ist meine Einstellung dazu 62 Jahre später noch ziemlich dieselbe. Ich will schnelles Essen. Und wenn ich selbst koche, soll es nicht länger als 15-20 Minuten dauern. Ich bin kein Feinschmecker. Ich verweile nicht über meinem Essen, jeden Bissen genießend oder so.

Und gestern Nacht, als ich ‚Die Pillenschlucker‘ gepostet hatte, kam mir, dass auch die Antiraucher eine ähnliche Einstellung haben mögen. Dass sie das Essen nicht genießen, das Trinken nicht genießen, vielleicht überhaupt nichts genießen. Wenn sie ein Restaurant aufsuchen, wollen sie nur möglichst schnell einen Teller Essbares vor sich haben, damit sie möglichst schnell wieder gehen können. Und sie wollen keine Hintergrundmusik ertragen müssen oder die Unterhaltungen anderer Leute oder gar (zu allerletzt) jemanden, der raucht. Und dieselbe Einstellung haben sie zu jeder Bar oder jedem Café. Sie gehen hin, um sich ein alkoholfreies Getränk zu bestellen, sie wollen es so schnell wie möglich haben, um es schnellstmöglich zu trinken und schnellstmöglich wieder zu gehen. Ihretwegen sollten Restaurants nur Essen verkaufen, Bars nur Getränke, mehr nicht.

Wenn ich jedoch eine Bar aufsuche, will ich normalerweise so lange wie möglich dort sein. Ich will der Musik zuhören, Gesprächsfetzen erhaschen, den Duft von Speisen, Parfüm und Rauch auffangen. Und ich verbleibe so lang ich kann bei einem Bier und ein paar Zigaretten (so jedenfalls war es einmal). Und ich will nicht wieder abhauen. Ich gehe nicht zum Trinken in Bars. Das kann ich zu Hause. Mir geht es um die Gesellschaft und die Unterhaltung und die Musik und die Billardspiele und all das. Das Getränk ist fast belanglos.

Auf so manche Art ist das, was die Antis machen, ein Rückbau der Kneipen und Restaurants auf ihr funktionelles Minimum. Nachdem sie das Rauchverbot bekommen haben, werden sie als Nächstes den Alkohol verboten haben, die Musik, die Unterhaltungen. Sie werden alles verbieten, was die Kernfunktion von Kneipen und Restaurants übersteigt – Essen und Trinken verkaufen. In einem Aufsatz von Michael Siegel brachte dieser, vor Jahren schon, genau dieses Argument gegen das Rauchen in Bars und Restaurants an. Die Kernfunktion einer Bar oder eines Restaurants, schrieb er, sei nicht, eine verrauchte Atmosphäre anzubieten, weshalb also sollte dies erlaubt sein? Ich weiß noch, dass ich damals dachte, dass Musik oder Kerzen oder Unterhaltung oder Zeitungen oder Schachspiele ja auch nicht zur Kernfunktion gehörten, warum also sollten sie erlaubt sein? Er aber war allein auf das Rauchen fixiert.

Die Antis schaffen das Unnötige ab. Deshalb ist auch die moderne Architektur schmucklos. Es gehört nicht zur Kernfunktion eines Gebäudes, Karyatidensäulen zu haben oder kunstvolle Friese mit stolzierenden Pferden und Göttern und Helden – also wird alles abgestreift von den modernistischen Antis der Architektur, die jetzt seit 100 Jahren das Sagen haben.

Aber allen Unwesentlichen entkleidet mag das Resultat zwar streng funktionell sein, bloß ist es in der Regel dann auch kalt und herzlos.
Vielleicht gibt es gar keine „Kernfunktion“ für irgendwas?
Vielleicht ist alles multifunktionell?
Oder hat überhaupt keine „Funktion“ im engeren Sinn?«

Original: https://cfrankdavis.wordpress.com/2016/04/27/the-functional-minimum/

NWR-FB-Permalink: https://www.facebook.com/groups/NetzwerkRauchen/permalink/10153351504171595/

Frank Davis auf der Netzwerk Rauchen – Facebook-Gruppe: https://www.facebook.com/groups/NetzwerkRauchen/search/?query=frank%20davis

Red.