DER HERR SONNENSCHEIN

DER HERR SONNENSCHEIN

Frank Davis auf Deutsch

(Originaltitel: Mister Sunshine)

»Heller sonniger Morgen heute hier. Ich sah mir das Satellitenbild an, und da war ein breiter Wolkenfluss zum Westen hin, östlich davon ein weiterer Wolkenflügel, sich langsam nordwärts bewegend. Hohe Cirrus-Wolken, stellte ich fest. Die würden mir bei meinem Eintreffen an der Kneipe zu meinem langsamen Bier eine willkommene Abschirmung vor der ansonsten intensiven Sonneneinstrahlung bieten.

Ich parkte ca. 200 Meter von der Kneipe entfernt und schlenderte in der Sonne zu ihr hinunter. Ich bestellte ein Bier und einen Teller Krustenbraten auf Salat und ging in den Garten, um mich niederzulassen. Die hohen Cirrus kamen pünktlich an, gerade als ich mit dem Essen fertig war, ein Buch aufgeschlagen hatte, zu lesen begann und mit meinem langsamen Bier angefangen hatte.

Aber unter den Cirrus zeigten sich rasch ein paar Bäusche von Cumulus-Wolken. Die Sonne verschwand hinter ihnen, aber es blieb sehr warm. Ich trank weiterhin langsam mein Bier und las dabei von Hannibals Siegen über die Römer am Trasimenischen See und bei Cannae.

Die ersten paar Tropfen Regen aus der sich verdunkelten Cumulus da oben ließ ich unbeachtet. Aber nach einer Weile ließ er sich nicht mehr ignorieren, also verzog ich mich unter die Markise vor der Hintertür der Kneipe, um mein halbleeres Bier vollends zu trinken und mir nochmal eine Zigarette zu drehen.

Der Regen wurde heftiger. Donner war zu hören. Etwas plumpste geräuschvoll von einem Dach und schlitterte über den Boden. Ein Hagelklumpen. Explosionsartig fingen die Fallrohre um mich herum Regenwasser auszuschütten.

Als nächstes füllte sich die Markise schnell mit Wasser, und die Wirtin kam mit einer Stange daher und sagte, sie müsse sie leeren. Sie hatte aber schon begonnen, sich selbst zu leeren, an der Wand herunter auf meine Tasche mit dem Buch über der karthagischen Krieg.

Ich packte meine klatschnasse Tasche und mein unausgetrunkenes Bierglas und stand in der Tür, während die Wirtin die Markise anstupste, damit das Wasser seitlich auf den Boden schwappte. Ich machte meine Zigarette aus und ging zurück in die Kneipe.

In der Kneipe bin ich als der Herr Sonnenschein bekannt, da ich nur komme, wenn es sonnig ist. Und als sich oben das Gewitter abspielte und Regen und Hagel niedergingen, spürte ich fast körperlich, wie mein Ruf dahinschwand. Von jetzt an würde „Herr Sonnenschein“ nur noch als ironische Bezeichnung gebraucht werden, ausgesprochen mit frostigen Blick und hämischem Grinsen.

An der Bar trank ich mein Bier aus und fischte in meiner Tasche nach dem Regenschirm unter all den Umschlägen und Tüten und Kassenzetteln. Es dauerte eine Weile, bis ich ihn fand; ich hatte ihn jahrelang nicht benutzt, und als ich ihn öffnete, stellte ich fest, dass sich zahlreiche Kassenzettel in seinen Falten verkrochen hatten. Sie alle flatterten zu Boden, als ich ihn behutsam öffnete.

Der Regen hatte nicht nachgelassen, als ich schließlich auf die Straße hinaustrat, nachdem ich die ganzen Kassenzettel aufgelesen hatte. Aber da war eine Metzgerei neben der Kneipe, mit einer Markise davor. Also stand ich unter der Markise und sah mir das Fleisch im Schaufenster an.

Ich hatte nicht vorgehabt, Fleisch einzukaufen, aber da ich nun schon mal hier war, dachte ich mir, könnte ich das ja tun. Mit etwas Glück könnte der Regen nachgelassen haben, bis ich wieder herauskomme. Also trat ich ein und ließ mir Zeit beim Kauf. Erst mal etwas Hackfleisch. Dann etwas ziemlich exotisches Fleisch. Und dann etwas Hirsch und Wildschwein. Und dann etwas Käse. Ja, die Metzger hier in der Gegend verkaufen auch Käse.

Aber als ich letztlich herauskam, schwerbeladen mit Fleisch und Käse, regnete es immer noch fürchterlich, auch das Gewitter hatte sich nicht verzogen. Ich machte mich an die 200 Meter die Straße hinauf, ein bisschen besorgt wegen meines metallenen Regenschirms, ob er als Blitzableiter fungieren würde. Es würde nächste Woche einen Nachruf in der Lokalpresse geben: „Fleischauslieferer vom Blitz getroffen“.

Die Straße war von der Flut ein bisschen überschwemmt, und die vorbeifahrenden Autos bespritzten das Pflaster damit. Ich sah mich nach größeren Pfützen auf der Straße um und wartete, bis die Autos durchgefahren waren, bevor ich daran vorbei huschte.
Das war nicht einfach, denn der unebene Gehweg war ebenfalls voller Pfützen, zwischen denen ich in meinen dünnen blauen Schuhen navigieren musste, nebenbei noch den Spritzsalven der durch die Straßenpfützen fahrenden Autos ausweichend.

Als ich schließlich meinen Wagen erreichte, der in einem Teich voll Wasser stand, ließ der Regen langsam nach. An die Fahrertür kam ich nicht heran, aber über die Beifahrertür konnte ich einsteigen und über Gangschaltung und Handbremse klettern.

Mein langsames Bier war zu einem veritablen Trasimenischen See geworden. Und meine Tasche triefte vor Wasser. Und ich hatte haufenweise Fleisch erworben, das ich eigentlich nicht wollte. Und mein guter Ruf war dahin.

Und ALL DAS WAR DIE SCHULD DER TABAKBEKÄMPFUNG, dachte ich mir, als ich den Wagen anließ. Von niemandem sonst. Denn ohne die hätte ich mit meinem Bier und meiner Zigarette in der warmen, trockenen Kneipe sitzen können und hätte das Gewitter draußen kaum bemerkt.

Scheißkerle.

Heute Abend gibt es Hirsch und Wildschwein. Und Hackfleisch mit Käse. Und nicht nur heute Abend, sondern wahrscheinlich noch für ein, zwei Wochen.«

Original: https://cfrankdavis.wordpress.com/2016/09/14/mister-sunshine/

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Red.