Nitrosamine – Spekulationen

Nitrosamine – Spekulationen

Nitrosamine ist ein Sammelbegriff für Stoffe mit absonderlichen Namen, die bei vielen getesteten Tieren schon in sehr geringer Dosis kanzerogen wirken. Auswirkungen beim Menschen sind bisher unbekannt. MAK-Grenzwerte konnten deshalb bisher nicht festgelegt werden. Also legte man vorsichtige technische Richtkonzentrationen (TRK) fest. Mehr zu Nitrosaminen erfährt man in der alten TRGS 901-32 und in der TRGS 552 (1996).

Nitrosamine brachten zunächst Kühlschmierstoffe und dann Bier in Verruf, weil man sie da nachweisen konnte. Andererseits hat man mittlerweile auch für Bier (wie für andere Alkoholika) eine  gesundheitlich positive Wirkung festgestellt, wenn man regelmässig 50 Gramm Alkohol pro Tag konsumiert. Die protektiven Effekte von Alkohol betreffen allerdings vor allem die weit verbreiteten Gefässkrankheiten. Der angedachte schädliche (kanzerogene) Effekt der Nitrosamine im Bier scheint also in den positiven Effekten des Alkohols unter zu gehen.

Im Bier gelten  heute Nitrosamine bis 0,5 µg/Liter als unbedenklich. Ein Liter Bier entspricht gleichzeitig  der im Durchschnitt als optimal anerkannten Menge für täglichen Alkoholkonsum. Also ist eine Nitrosaminaufnahme von 0,5µg täglich wohl unbedeutend – zumindest im Vergleich zu den positiven Effekten von Alkohol.

Im Zigarettenrauch wurden ebenfalls Nitrosamine gefunden. 

In der TRGS 552 vom März 1996 ist eine ubiquitäre (d.h. normalerweise ohnehin vorhandene) Konzentration von 0,1µg/m³ an Nitrosaminen benannt – allerdings ein schwer messbarer Wert. Als TRK wird hier 1µg/m³ angegeben.

In der Tat scheinen Nitrosamine zumindest im Tierversuch höchst krebserzeugend zu sein. Man hat deshalb bei vielen technischen Produkten und Prozessen und in Lebensmitteln die Anteile dramatisch reduziert. Warum tut man das nicht auch bei Tabakerzeugnissen?

Nachtrag Jan 2011:

In älteren Veröffentlichungen (z.B. in der Enzyclopedia of Occupational Health and Safety 1998 von der international Labour Organisation) finden sich Messwerte (Tabelle 44.8), die Hoffmann, Hecht, Brunnermann und Luceri als Quellen benennen. Das Kapitel 1)  in o.g. Quelle  ist von Hoffmann & Wynder (Urgesteine in der Tabakforschung) geschrieben. Demnach wurden in vom Tabakrauch belasteter Luft  schon (tabakspezifische) Nitrosamine in der Grössenordnung von 0,005 bis 0,03µg/m³ gefunden – weit unter der ubiquitären Belastung. Wie, wo und wann das gemessen wurde, verliert sich allerdings in den multiplen (Selbst-) Referenzen.

In einer relaiv jungen (2007) deutschen Untersuchung der BGN, die für die Gesundheit der Gatronomiebeschäftigten zuständig ist, wurden keine Nitrosamine in von Tabakrauch belasteter Luft nachgewiesen. Die Nikotinbelastung  war dabei teilweise erheblich (bis zu 200µg/m³). Berufsgenossenschaften sind bestens mit Messtechnik ausgestattet und vertraut. 

Nachtrag Mai 2012:

Gemäss „Jahrbuch Prävention 2011“ der BGN Seite 89 hat die BGN doch Nitrosamine in Gastroniebetrieben gemessen mit einem Maximalwert von 37ng/m³ (bei 130µg/m³ Nikotin) in insgesamt 34 Messungen. 32 der 34 Messungen lagen in Summe aller tabakspezifischen Nitrosamine unter 20ng/m³

Dasselbe gilt für eine Studie von LGL, LfU und LMU Bayern (Bolte et al. 2007). Aus beiden Veröffentlichungen geht allerdings nicht hervor, ob die Luft überhaupt auf Nitrosamine getestet wurde. Die Werte von Hoffmann, Hecht, Brunnermann und Luceri  wurden mit diesen jungen deutschen Untersuchungen zumindest nicht verifiziert.

1) zur Schädlichkeit von Umgebungsrauch schreiben die Autoren, denen keinesfalls eine tabakfreundliche Gesinnung unterstellt werden kann, übrigens auf Seite 44.14:

„Few, if any, of these epidemiological studies meet the criteria of causality in the association between an environmental or occupationa factor and lung cancer.“



http://www.ncbi.nlm.nih.gov/entrez/query.fcgi?itool=abstractplus&db=pubmed&cmd=Retrieve&dopt=abstractplus&list_uids=9306073

Based on recent analytical data, total human exogenous exposure to N-nitrosamines is estimated to be 1.10 mumol/day; the major exposure sources are the diet (0.79 mumol/day, 80-120 micrograms/day; 72%), occupational exposure (0.15-0.30 mumol/day; 25%), cigarette smoking (0.02 mumol/day, 3.4 micrograms/day; 2%)


Mit Speck fängt man Mäuse und vergiftet die Menschen:

http://www.ncbi.nlm.nih.gov/entrez/query.fcgi?itool=abstractplus&db=pubmed&cmd=Retrieve&dopt=abstractplus&list_uids=1818833

Twenty-five smoked and unsmoked fried bacon samples have been analysed by a group selective procedure to measure the concentration of apparent total N-nitroso compounds (ATNC). The levels of a range of individual N-nitroso compounds, including simple volatile N-nitrosamines, N-nitrosothiazolidines, N-nitrosamino acids and N-nitrosothiazolidine carboxylic acids have also been examined. Concentrations of ATNC varied from 430 to 6800 micrograms(N-NO)/kg with a mean of 2700 micrograms(N-NO)/kg.


Nochmal zu Nitrosaminen:
nitrosamines can form in the gastric juice of the human stomach. This is commonly referred to as endogenous nitrosation. Bacteria in the mouth chemically reduce nitrate, which is prevalent in many vegetables, to nitrite, which in turn can form nitrosating agents. Many foods contain amines that can react with nitrosating agents in the acidic stomach to form nitrosamines.
Do these types of exposure to nitrosamines cause human cancer? An enormous amount of indirect evidence indicates that nitrosamines are human carcinogens. For instance, tobacco-specific nitrosamines are one of the major groups of chemical carcinogens in tobacco products, and no doubt remains about the causal link between tobacco use and cancer. But it is difficult to evaluate the risk of cancer from daily exposure of 1 microgram from foods and beverages.

http://lpi.oregonstate.edu/f-w00/nitrosamine.html


__II.A.2. Human Carcinogenicity Data

Inadequate. Human exposure to nitrosamines results from contact with mixtures containing these compounds (e.g., cutting oils, tobacco products). Because of potential confounding by the other substances in these mixtures, data is of limited use in the evaluation of carcinogenicity of individual nitrosamines.

__II.A.3. Animal Carcinogenicity Data

Sufficient.

Man hat also Ratten mit wenigstens 4mg/kg und Tag „behandelt“? Und damit fast zwingend Leber-Krebs ausgelöst! Ein Mensch wiegt so ca. 50 kg. Also entspräche das beim Menschen einer Tagesdosis von wenigstens 200 mg (in Worten: zweihundert Milligramm)! Ein Passivraucher nimmt täglich maximal 0,5µg auf (siehe oben). Die Ratten wurden also mit der 400.000-fachen Dosis getötet, die ein Passivraucher möglicherweise aufnehmen könnte.

Bereits mit 100mg Nikotin (die 5-Tagesdosis eines Rauchers) kann man einen Menschen auch sofort umbringen.http://www.epa.gov/IRIS/subst/0177.htm

Aus:
RESPIRATORY HEALTH EFFECTS OF PASSIVE SMOKING:LUNG CANCER AND OTHER DISORDERS [1]

EPA/600/6-90/006F December 1992 Seite 3-17

Table 3-3. Tobacco-specific N-nitrosamines in indoor air (ng/m3) 1)

Messwerte von Nitrosaminen:


Angesichts einer ubiquitären Nitrosamin-Belastung von 100ng/m³ und einem TRK von 1000 ng/m³ erscheint das nicht allzu erschreckend

[1] Das Werk hat 525 Seiten (4MB) und ist hier downloadbar: http://cfpub2.epa.gov/ncea/cfm/recordisplay.cfm?deid=2835

etwas kompakter (52 Seiten) hier: http://www.epa.gov/nceawww1/ets/pdfs/etsch3.pdf

Wie man Ratten tötet

Nach vorgenannter Belastung der Luft durch Nitrosamine von aufgerundet 50ng/m³ käme man in 8 Stunden bei einer inhalierten Luftmenge von 5m³ und einem Körpergewicht von 50kg auf eine (eingeatmete) Tagesdosis von 5ng/(kg*Tag).

Die Tötung von Ratten erfolgt mit einer wenigstens millionenfach höheren Tagesdosis (ca. 10.000.000ng/(kg*Tag)), die sie nicht nur einatmen, sondern gespritzt bekommen: http://cancerres.aacrjournals.org/cgi/reprint/40/2/298.pdf  Die Ratten bekamen jeweils ingesamt 600.000.000 bzw. 720.000.000 Nanogramm Nitrosamine eigespritzt innerhalb von 20 Wochen. Das Gewicht einer F344-Ratte liegt bei 0,4 kg.

In einem anderen Versuch haben S.S. Hecht et. al Ratten oral „nur“ mit folgenden Gesamtdosen „behandelt“:

GruppeProbanden AnzahlGesamtdosis (NNN+NNK) in ngKrebsdiagnosen insgesamtin Prozent zu den Probanden 
121nur Wasser24+5=29138% 
2 nur Tabak3011.600.00021+16=37123% 
3 Tabak+Nitrosamine30121.000.00020+7=2790% 
4 nur Nitrosamine30116.000.00040+13=53176% 

Quelle:  http://cancerres.aacrjournals.org/cgi/reprint/46/8/4162 Tabelle 2 incl. Fussnoten.

Die Lebenserwartung war bei allen Gruppen ungefähr gleich. Diese Studie kann also allenfalls besagen, dass es sich bei F344-Ratten um eine besonders krebsempfindliche Zucht handelt. Sonst könnte man noch auf die Idee kommen, dass sie von mit Nitrosaminen angereichertem Tabak profitiert.

Interessant ist auch eine vergleichsweise junge (1999) Übersichtsarbeit von S.S. Hecht: http://jnci.oxfordjournals.org/cgi/content/full/91/14/1194
Demnach induziere zwar (bei Hochdosierung!)  z.B. BaP Lungenkrebs bei Mäusen, nicht jedoch bei Ratten, wenn es systemisch verabreicht wird. Allerdings sei NNK sowohl in Ratten, Mäusen und Hamstern kanzerogen für die Lunge. Andere Nitrosamine sind wiederum nur beim Hamster wirksam. Über Wirkungen bei Menschen ist nichts bekannt.

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